Das (scheinbar) Unmögliche möglich machen

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Würde man einen außerirdischen Anthropologen nach dem perfekten Beispiel fragen, wo unsere Gesellschaften ein großes systemisches Risiko konsequent ignorieren, würde dieser - als neutraler Experte der menschlichen Existenz und Kultur - kaum etwas Besseres finden als die heutige Zeit.

Würde man einen außerirdischen Anthropologen nach dem perfekten Beispiel fragen, wo unsere Gesellschaften ein großes systemisches Risiko konsequent ignorieren, würde dieser - als neutraler Experte der menschlichen Existenz und Kultur - kaum etwas Besseres finden als die heutige Zeit. Wenn Sie dies lesen, sind sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mensch und so wohl auch Träger verschiedener äußerst menschlicher Eigenschaften, so unter anderem:

  • Wir besitzen beeindruckende Fähigkeiten, Information zu verarbeiten und Dinge zu erfinden, beide haben uns den historisch unerreichten Wohlstand der heutigen Tage verschafft;
  • Wir sind gleichzeitig in der Lage, Informationen zu ignorieren, die uns bedrohen oder die uns ein schlechtes Gefühl bereiten;
  • Wir sind primär mit dem Hier und Jetzt befasst und bewerten die Zukunft auf eher abstrakte Art und Weise. Ebenso extrapolieren wir unsere jüngsten Erfahrungen und erwarten für die Zukunft eine Weiterführung des Status Quo mit kleinen Änderungen:
  • Wir reagieren auf neue Fakten vor allem dann, wenn sie mit unserem Weltbild, unseren Emotionen und dem aktuellen gesellschaftlichen Konsens übereinstimmen;
  • Wir bevorzugen einfache Erklärungen und Lösungen. Komplizierte Zusammenhänge, auch wenn sie zutreffen, überbeanspruchen unseren Neokortex für deren Analyse, während emotional getriebene schnelle Entscheidungen eher den emotional getriebenen tieferliegenden Gehirnregionen entspringen;
  • Wir sind einer unglaublich langen Liste "fest eingebauter" Wahrnehmungsverzerrungen unterworfen, wie z.B. Verlustaversion, Gruppendenken, Autoritätsgläubigkeit, kognitiver Dissonanz, um nur einige von vielen zu nennen. Diese Verzerrungen helfen uns im Normalfall, das Wesentliche im Auge behalten, und zufrieden und zielstrebig unser Leben zu führen. In Zeiten wie diesen haben sie aber zur Folge, dass wir Veränderungen zu spät wahrnehmen und notwendige Handlungen unterlassen;
  • Um das alles noch weiter zu treiben: haben wir ENDLICH begriffen, dass Wachstum, Energie und Geld eng zusammenhängen und der wahrscheinlichste Zukunftstrend der kommenden Jahrzehnte auf ein Schrumpfen unserer Wirtschaftskraft hinausläuft, schalten wir paradoxerweise (und viel zu schnell) von "Kein Problem" auf "es ist sowieso zu spät" um. Auch diese Reaktion verhindert eine adäquate Reaktion auf gesellschaftlicher Ebene.

Um es zusammenzufassen: der lange Zeithorizont, die Abwesenheit direkter physischer und sozialer Hinweise auf das, was uns mit ziemlicher Sicherheit erwartet, die Komplexität der voneinander abhängigen Risiken sowie die Abwesenheit der Auseinandersetzung damit auf politischer Ebene, bedeuten nichts anderes als dass das bereits für eine Mehrheit in den Industrieländern fühlbare Ende des Wirtschaftswachstums zum perfekten Beispiel dafür eignet, wie das menschliche Gehirn auf langsam ablaufende Veränderungen nur mit enormem Aufwand und großer Disziplin adäquat reagiert.

Im kulturellen Bereich haben wir eine ähnliche Situation. Wir nehmen an, dass Institutionen (und Prinzipien) die sich in der Vergangenheit bewährt haben, auch in Zukunft funktionieren werden. Aber all diese Institutionen - Regierungen, Unternehmen, aber auch gemeinnützige Organisationen - nutzen dasselbe veraltete Manuskript, das in keiner Weise der heutigen Situation angemessen ist. Die Konsequenz ist, dass wir alle fest in einem reaktiven Verhalten gefangen sind, und uns nicht mit der nötigen Vor- und Voraussicht um die sich schnell ändernde Zukunft kümmern.

Was bedeutet das alles? Es bedeutet, dass eine Mehrheit der intelligenten und zukunftsorientiert denkenden Menschen an "Lösungen" arbeitet, die kaum in Übereinstimmung mit der Realität der kommenden Jahrzehnte stehen. Die meisten unserer Mitmenschen gehen von "busines as usual" aus und ignorieren die zunehmende Abweichung der Daten von ihrer gefühlten Realität. Viele andere wiederum fokussieren sich darauf, was "passieren sollte", statt darauf, was passieren kann und wird. Wir werden gerade von fast perfekten psychologischen Grenzen daran gehindert, uns auf eine sehr reale Bedrohung vorzubereiten.

Im Kern sind wir mit einer sehr einfachen Situation konfrontiert: wir haben unsere Gesellschaften rund um Wachstum herum gebaut, aber die Wachstumsvoraussetzungen sind uns abhandengekommen. Bislang haben wir, wenn wir an diese Grenzen stießen, mit Regeländerungen reagiert: billige Zinsen, neue Garantien, höhere Schulden. Aber am Horizon ist schon - unvermeidlich - der Zeitpunkt zu erkennen, wo wir unsere Finanzsysteme an die physikalischen Gegebenheiten eines physisch begrenzten Planeten anpassen müssen. Das ist den wenigsten Menschen bewusst, und noch weniger haben einen Plan für diese Situation. Und natürlich ist es unangenehm, sich auf eine derartige "Große Vereinfachung" einzustellen - vor allem wenn man 3% jährliches Wirtschaftswachstum bis in alle Ewigkeit eingeplant hat. Grundsätzlich bedeutet diese Diskrepanz nicht, dass wir einer Katastrophe entgegensehen- selbst wenn das BIP einer Industrienation um ein Drittel sinkt, wären unsere Kinder noch immer die zweitreichste Generation der ganzen Menschheitsgeschichte. Wenn wir so eine Reduktion kreativ anpacken, könnten sie sogar die "reichsten" sein, was Lebensqualität und Glück anbelangt. Aber weil wir uns aufgrund unserer individuellen und gesellschaftlichen Zerrbilder nicht damit befassen, sind wir (zu) weit von diesem Ziel entfernt.

IIER objectives based on a YouGov poll
IIER objectives based on a YouGov poll

IIER hat bei weitem nicht alle Antworten, aber wir haben uns über ein Jahrzehnt konsequent mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Wir versuchen deshalb nicht, das Unvermeidliche abzuwenden. Wir wollen auch nicht im letzten Detail erklären, wie Energie, Geld und unser Verhalten tausend mögliche Zukunftsszenarien beeinflussen können. Weil wir so viele Faktoren berücksichtigen, liegen wir bei einigen Details sicher falsch, würden wir das versuchen. Was allerdings das Gesamtbild anbelangt, haben wir kaum Zweifel: Die Industrienationen sind auf fahrlässige Art und Weise auf eine mit hoher Wahrscheinlichkeit schrumpfende Wirtschaft unvorbereitet. Deshalb möchten wir um Ihre Mithilfe bitten, aktiv an allen Aspekten dieses Problems mitzuarbeiten - im Freundeskreis, in lokalen und regionalen Institutionen, und über gesellschaftliche und institutionelle Grenzen hinweg - wir sitzen alle im selben Boot. Dies ist eine Situation, in der wir alle am gleichen Strang ziehen müssen. Wenn Sie nicht in der Lage sind, aktiv an der Gestaltung der Zukunft mitzuwirken, helfen Sie denjenigen mit Zeit und finanzieller Unterstützung, die sich mit diesen Fragen beschäftigen. Unsere Projektliste gibt Ihnen vielleicht die eine oder andere Idee, wie wir die Zukunft gemeinsam meistern können.